Warum ein ODL-Messsystem?
- Nachdem Ende der 1960er Jahre im damaligen Bundesamt für Zivilschutz erstmals Pläne entwickelt wurden, wie im Falle einer Kontamination durch radioaktive Strahlung möglichst schnell Messdaten gesammelt werden können, war 1973 der Prototyp eines Messwertsenders fertig.
- 1984 waren insgesamt etwa 1.200 Messstellen in Betrieb. 1986 waren zehn davon mit einem damals fortschrittlichen Gamma-Sondentyp ausgestattet, der ausreichend sensitiv war, um die in Folge des Reaktorunfalls von Tschornobyl (Russisch: Tschernobyl) erhöhte ODL in Deutschland aufzuzeichnen.
- Seit den 90er Jahren betreibt das BfS das ODL-Messnetz. Es entwickelt die Mess- und Übertragungstechnik fortlaufend weiter.
- Aufgabe des Netzes: Messung der Strahlung bei einem atomaren Angriff
- Neue Aufgabe für das Messnetz: Überwachung der natürlichen Strahlung
- Übernahme durch das Bundesamt für Strahlenschutz
- Meilensteine in der Weiterentwicklung
Ende der 1960er Jahre wurden erstmals im Bundesamt für Zivilschutz Pläne entwickelt, wie im Falle einer Kontamination durch radioaktive Strahlung möglichst schnell Messdaten gesammelt werden können. Hintergrund war der Kalte Krieg: Man befürchtete einen atomaren Angriff durch die Staaten des Warschauer Pakts. Zu dieser Zeit existierten in der Bundesrepublik 10 so genannte Warnämter. Diese waren im Verteidigungsfall für die Warnung der Zivilbevölkerung bei Gefahren zuständig.
Jedes dieser Warnämter verfügte über jeweils vier bis fünf Messstellen, an denen mittels eines Geiger-Müller Zählrohrs die vorhandene Ortsdosisleistung im Bereich von 0,1 Mikrosievert pro Stunde bis 2 Sievert pro Stunde gemessen werden konnte. Die Empfindlichkeit der Sonden war demzufolge für stark erhöhte Strahlungspegel ausgewählt, eine Messung des natürlichen Untergrunds war mit dieser Skalierung nicht möglich. Um Daten von den Messstellen zu empfangen, musste eine Person vor Ort sein, um die Messwerte am Gerät abzulesen und sie an das zuständige Warnamt weiterzuleiten.
Aufgabe des Netzes: Messung der Strahlung bei einem atomaren Angriff
Zur automatisierten Abschätzung der tatsächlich vorhandenen Gefährdung durch Strahlung bei einem atomaren Angriff wurde ein bodennahes, flächendeckendes Messnetz geschaffen, das ohne den Einsatz von Personen an verstrahlten Orten die Radioaktivität messen und die Daten an eine Zentrale übertragen konnte.
Anfang der 1970er Jahre wurde dafür eine Ausschreibung durchgeführt, 1973 war der Prototyp des Messwertsenders der ersten Generation ("MWS1") fertig.
Beginn der Messungen: Abfrage der Daten per Telefonanruf
Bei den Geräten der ersten Generation wurden die Messdaten über eine übliche Telefonleitung übertragen. Im Normalbetrieb befand sich das System im "Ruhezustand".
Bei einem Anruf ging das System in die Messphase und übermittelte anschließend die Messdaten per Modem an die Zentrale. Dazu musste jede Messstation einzeln mittels eines Telefonapparats mit Wählscheibe angewählt und die Übertragung per Knopfdruck gestartet werden. Gespeichert wurden diese Messwerte nicht, die Daten wurden lediglich in eine Liste eingetragen.
Im Jahr 1984 waren insgesamt circa 1.200 Messstellen in Betrieb. Bei einer Abfragezeit von jeweils circa zwei Minuten pro Messstelle konnte eine Gesamtabfrage pro Warnamt sieben bis acht Stunden dauern.
1980er Jahre: von der händischen zur automatisierten Datenübertragung
Anfang der 1980er Jahre wurde das Messnetz einer umfangreichen Modernisierung unterzogen. Dabei wurde auch die ursprünglich analoge Datenübertragung auf digitale Technik umgestellt.
Aufgrund der umfangreichen Einzelmeldungen und Messdaten wurde zur Verarbeitung, Auswertung und Erstellung von Prognosen und Warnmaßnahmen ein elektronisches Datenverarbeitungssystem notwendig. Das System erhielt den Namen "WADIS" (Warndienst-Informationssystem).
Neue Aufgabe für das Messnetz: Überwachung der natürlichen Strahlung
Quelle: Daten-Quelle: SSK-Band 7 / Visualisierung BfS
Die Messsonden sollten für eine Überwachung des natürlichen Grundpegels geeignet sein. Aus diesem Grund wurde im Jahr 1985 mit der Entwicklung und Erprobung von Gamma-Sonden der zweiten Generation (GS-02) begonnen. Zum Zeitpunkt des Unfalls von Tschornobyl (Russisch: Tschernobyl) waren gerade zehn Messstellen mit dem damals fortschrittlichen Gamma-Sondentyp der zweiten Generation ausgestattet, die ausreihend sensitiv waren, um die in Folge des Reaktorunfalls erhöhte ODL in Deutschland aufzuzeichnen.
Nach dem Reaktorunfall in Tschornobyl im Jahr 1986 wurde das Messstellennetz insbesondere durch das Strahlenschutz-Vorsorgegesetz 1987 in den Bereich des Umweltschutzes integriert. Die Messdaten wurden somit nicht nur für den Zivilschutz, sondern in zunehmendem Maße für den Umweltschutz genutzt. Aus einem reinen Notfallsystem wurde nun ein System zur ständigen Überwachung der natürlichen Umweltradioaktivität.
Übernahme durch das Bundesamt für Strahlenschutz
Im Jahr 1989 endete mit dem Mauerfall die Bedrohung des Kalten Krieges. Laut Beschluss des Bundesinnenministeriums wurden daraufhin die Warnämter geschlossen, das Messnetz des Bundesamts für Zivilschutz sollte aber erhalten bleiben.
Im Juli 1997 wurde diese Aufgabe, und damit auch das gesamte Messnetz, dem Bundesamt für Strahlenschutz zugeordnet. Aus den ehemals 10 Warnämtern wurden nun sechs ODL-Messnetzknoten, angesiedelt an den BfS-Standorten in Freiburg, Berlin, München, Bonn, Salzgitter und Rendsburg.
Vom analogen Modem zum Mobilfunk
Zum Zeitpunkt der Übernahme wurden Daten ausschließlich mit analogen Modems übertragen. Nach der Übernahme durch das BfS wurde die vorhandene Messtechnik modernisiert. Ab dem Jahr 1998 wurde ein neues System eingeführt, das die Daten optional auch über Mobilfunk versenden konnte. Ab circa 2005 wurde das alte System schrittweise bis 2015 durch ein vom BfS selbst entwickeltes System ersetzt. Durch den Wegfall analoger Festnetzanschlüsse wurde das Messnetz ab 2017 größtenteils auf LTE umgestellt. Um bei einem großflächigen Strom- oder Providerausfall sicher Daten zu erhalten, wird momentan zusätzlich die Datenübertragung per Satellit getestet.
Seit der Übernahme des Messnetzes durch das BfS wird die verwendete Hard- und Software ständig weiterentwickelt und dem Stand der Technik angepasst. Derzeit dauert es etwa 10 Minuten, bis die Daten von allen Messstellen eingetroffen sind. Im Normalbetrieb senden die Messtellen ihre Daten im Stundentakt an das BfS, bei erhöhten Messwerten übertragen die Messstellen die Daten sofort.
Es werden dabei folgende Übertragungsverfahren eingesetzt:
- Datenübertragung über Festnetz an circa 50 Stationen
- Mobilfunk an circa 1.500 Stationen
- Direkte Verbindungen über DWD WAN-Netz an circa 150 Stationen
Erweiterung des Messnetzes durch spektroskopierende Sonden
Seit 2018 wurden ungefähr 20 Messstellen in der Umgebung kerntechnischer Anlagen mit zusätzlichen spektroskopierenden Sonden ausgestattet. Diese Sonden verwenden Lanthanbromid-Detektoren, die im 10-Minuten-Takt ein Spektrum der Gammastrahlung aufnehmen. Mit diesen Sonden ist es möglich, neben der absoluten Ortsdosisleistung auch die einzelnen radioaktiven Nuklide zu bestimmen.
Selbst bei einer geringfügig erhöhten Gamma-Ortsdosisleistung kann zeitnah die Art der erhöhten Strahlung ermittelt werden. Damit lässt sich die Frühwarnfunktion des Messnetzes verbessern. Im Notfall können diese Messstellen frühzeitig Erkenntnisse zum Nuklidgemisch einer Freisetzung liefern.
Meilensteine in der Weiterentwicklung
Bezüglich der Datenqualität und der Prüfmöglichkeiten der aufgenommen Messdaten wurden folgende fachliche Meilensteine erreicht:
- 2003: Umstellung auf den Sondentyp der fünften Generation (GS-05) abgeschlossen. Die Empfindlichkeit in der 10-Minuten-Zeitreihen wurde auf einen Wert von circa 0,02 Mikrosievert pro Stunde verbessert.
- Bis zum Jahr 2014: Ablösung veralteter Messwertsender-Technik. Damit wurde ein automatisches Prüfverfahren realisiert, das einen Abgleich der Impulsraten beider Zählrohr-Kanäle auf 10-Minutenbasis ermöglicht.
- Seit 2018: Eine wesentliche Erweiterung bedeutet die Entwicklung von spektroskopischen Sonden, die zusätzlich zur Ortsdosisleistung den Beitrag künstlicher Radionuklide bestimmen können. Erste prototypische Sonden dieses Typs wurden 2008 auf dem Brocken im Harz und auf dem Schauinsland im Schwarzwald installiert. Seit 2018 ergänzen ca. 20 Sonden diesen Typs das ODL-Messnetz.
- Seit 2022 werden die Messstellen einer verbesserten Härtung unterzogen, beispielsweise zum Schutz vor elektromagnetischen Impulsen (EMP).